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Am Tor zum Seeland liegt ein Flecken Emmental

Die Armenanstalt ist Geschichte, doch das mittlere und untere Emmental hält unverdrossen am Heim auf dem Frienisberg fest. Es könnte sich auszahlen.

Frienisberg: Jubiläum im Heim

Ein Stück Emmental am Nordhang des Frienisbergs? Hinter der Kuppe des Hügelzugs also, der sich zwischen die Agglo Bern und das Seeland schiebt?

Viele mögen auf diese Fragen mit einem verwunderten Stirnrunzeln reagieren. Dabei gibt es dieses Stück Emmental  tatsächlich: 1897 kauften die Gemeinden aus den damaligen Amtsbezirken Burgdorf, Fraubrunnen und Trachselwald das ehemalige Kloster Frienisberg und richteten dort die Bezirks-Armenanstalt, wie sie offiziell hiess, für das mittlere und untere Emmental ein.

Vor genau 125 Jahren war das, aus dem Armenhaus von einst ist längst das Wohn- und Pflegeheim von heute geworden. Es tritt unter dem Namen «Frienisberg – üses Dorf» auf und signalisiert damit: Auch auf dem Frienisberg wird mittlerweile der ganz normale Alltag eines Dorfes gelebt.
 

Aus dem Alltag verdrängt

Das Jubiläum hat den Gemeinden den Betrieb, den sie einst gegründet haben, wieder etwas nähergebracht. Geschäftsführer Peter Gerber sagt es, und er ergänzt gleich: «Über die Delegierten arbeiten sie auch sonst kontinuierlich mit.» Gefragt ist ihre Stimme bei Geschäften, die Ausgaben von 5 Millionen Franken und mehr zur Folge haben. Bei Liegenschaftskäufen und -verkäufen. Und natürlich bei der Wahl des Verwaltungsrats.

Aber sonst? Selbst Christoph Bürgi als Präsident dieses Gremiums gesteht ein: Ausser den Delegierten weiss in den Trägergemeinden kaum jemand, was rund 30 Kilometer von Burgdorf entfernt auf dem Frienisberg passiert. «Der Bezug fehlt», stellt der Anwalt fest und lässt durchblicken, dass er keine Ausnahme ist. Vor seiner Zeit im Verwaltungsrat war das Heim auch ihm fremd, «ich wusste nicht einmal recht, wo es steht».

Als die Gemeinden vor 125 Jahren das Kloster übernahmen, war genau das die Absicht. Arme Menschen wurden damals möglichst weit weg geschickt, aus dem Alltag verdrängt.
 

Anstalt für jeden Bezirk

Obwohl die Zeiten heute ganz anders sind, halten die Trägergemeinden dem Frienisberg unverdrossen die Treue. Dass viele mittlerweile eigene Heime vor Ort führen, spielt dabei keine Rolle. Der Entscheid, an der Genossenschaft festzuhalten und sich so weiter für den Betrieb zu engagieren, sei vor noch nicht allzu langer Zeit so gefasst worden, blickt Geschäftsführer Gerber zurück. «Die Gemeinden hielten dieses Modell für das beste.»

Das ist alles andere als selbstverständlich, wie ein Blick auf andere Heime mit ähnlicher Vergangenheit zeigt. Im ausgehenden 19. Jahrhundert waren das mittlere und untere Emmental nämlich längst nicht das einzige Gebiet mit einer Verpflegungsanstalt. Das Oberemmental gründete in Bärau die Heimstätte, der Oberaargau in Wiedlisbach das Dettenbühl, das Seeland in Worben das Seelandheim und das Mittelland mit den Gemeinden rund um Bern in Riggisberg das Wohn- und Pflegeheim. 

WEITER NACH DER WERBUNG

Die Stadt Bern richtete sich in Kühlewil auf dem Längenberg und das Oberland in Utzigen am Abhang zum Worblental ein – hier wie dort also ebenfalls weit ausserhalb der eigenen Region.
 

Mal eine Stiftung, mal eine AG

So eng mit dem Betrieb verbunden wie das mittlere und untere Emmental ist inzwischen aber kaum eine Region mehr. Erst Anfang Jahr verkaufte die Stadt Bern Kühlewil an die in der Altersmedizin tätige Siloah-Gruppe. Einen ähnlichen Weg verfolgt schon länger der Oberaargau. Das Dettenbühl wird heute von einer AG geführt, die dem Spital Region Oberaargau mit seinen Pflegebetrieben gehört.

Die Heimstätte Bärau und das Heim in Utzigen wurden in eigenständige Stiftungen verwandelt, wobei in Utzigen als Grund für den Wechsel ausdrücklich das mangelnde Interesse der Trägergemeinden genannt wurde. Das Seelandheim wiederum geschäftet heute als Aktiengesellschaft, bei der die Gemeinden als Aktionärinnen immerhin noch einen gewissen Einfluss haben.

Einzig das Mittelland führt den Betrieb in Riggisberg ebenfalls als Genossenschaft weiter, wie eh und je.
 

Wie das Kloster von früher

Genossenschaften gelten nur zu gern als träge und wenig agil, doch Gerber winkt ab. Entscheidend sei, dass im Verwaltungsrat nicht mehr die Gemeindevertreter von früher sässen, sagt der Geschäftsführer. Gefragt sei vielmehr Expertenwissen, entsprechend brächten die aktuellen Verwaltungsrätinnen und -räte ihre Berufserfahrung aus den Bereichen Medizin, Pflege, Personalführung, Betriebswirtschaft, Bauwesen, Recht und Politik ins Gremium ein. «Sie sind die idealen Sparringpartner für mich.»

Unter diesen Voraussetzungen könne man auch als Genossenschaft nah am Markt agieren, betont Gerber und erwähnt die diversen Kooperationen mit Dienstleistern aus dem Gesundheitsbereich. Dank der engen Zusammenarbeit mit einem Arzt, einer Apotheke und den Spitälern der Inselgruppe komme der Frienisberg auch als mittelgrosser Einzelbetrieb mit 260 Betten und 345 Vollzeitstellen gut über die Runden.

Die Neubauten der letzten Jahre stehen ebenfalls für diese Aussage, dank der 24 Millionen Franken aus eigenen Mitteln sei die 54-Millionen-Investition problemlos zu stemmen gewesen, führt Gerber aus. Die zwei markanten lang gezogenen Häuser, die wie eine Mauer wirken und an das Kloster von früher erinnern sollen, bringen in der Alterspflege durchgängig Einzelzimmer mit Nasszelle. Die Zweierzimmer mit Dusche und WC auf dem Gang sind damit Geschichte. 
 

Von unerwartetem Wert

Apropos Treue, Verwaltungsratspräsident Christoph Bürgi sagt offen, dass es bei den Trägergemeinden immer zu Austritten kommen kann. Umgekehrt sind in der jüngeren Vergangenheit auch Gemeinden aus der näheren Umgebung neu zur Genossenschaft gestossen. Seedorf etwa, auf dessen Boden das Heim steht, hat diesen Schritt vor sechs Jahren getan.

Das hat gute Gründe. Im Altersbereich, erklärt Gerber, sei der Frienisberg zum Heim für das Seeland geworden. Anders sieht es im Behindertenbereich aus, weshalb über den ganzen Betrieb gesehen noch immer rund ein Viertel der Bewohnerinnen und Bewohner aus den Trägergemeinden stammt. In der Betreuung von Menschen mit einem Handicap spiele das Heim für die Genossenschafterinnen noch immer eine Rolle, so der Geschäftsführer.

Vielleicht wird der Frienisberg für das mittlere und untere Emmental auch im Altersbereich wieder wichtiger. Gerber verweist auf die vielen Betten, die im Moment landauf, landab wegen Personalmangels geschlossen sind. Sollte sich die Situation weiter verschärfen, sinniert er, wären die Trägergemeinden im Vorteil. Dank ihrer Anteilsscheine hätten sie nämlich das Recht, den nächsten freien Platz für jemanden aus ihren Reihen in Anspruch zu nehmen. 
 

Ein Bericht von Stephan Künzi - Journalist und Redaktor und als solcher seit über dreissig Jahren im Kanton Bern unterwegs. Er schreibt über alles, was die Leserinnen und Leser im Alltag bewegt. Sein besonderes Interesse gilt dem öffentlichen Verkehr.
 

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